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Estnische Sprache

2015-7-19 00:04| view publisher: amanda| views: 4358| wiki(57883.com) 0 : 0

description: Estnisch (Eigenbezeichnung: eesti keel) ist eine flektierend-agglutinierende Sprache und gehört zum ostseefinnischen Zweig der Gruppe der finno-ugrischen Sprachen. Das Estnische ist eng mit dem Finni ...
Estnisch (Eigenbezeichnung: eesti keel) ist eine flektierend-agglutinierende Sprache und gehört zum ostseefinnischen Zweig der Gruppe der finno-ugrischen Sprachen. Das Estnische ist eng mit dem Finnischen und dem nahezu ausgestorbenen Livischen verwandt. Eine entfernte Verwandtschaft besteht zum Ungarischen. Estnisch ist die einzige Amtssprache der Republik Estland und wird dort von 950.000 Menschen gesprochen. Durch die historischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts gibt es auch im Ausland estnische Gemeinden, die etwa 150.000 Sprecher zählen. Die Gesamtzahl der Sprecher des Estnischen als Muttersprache liegt bei rund 1.100.000. Der Sprachcode ist et bzw. est (nach ISO 639).

Alphabet

Das estnische Alphabet verwendet die folgenden Buchstaben:

a, b, c, d, e, f, g, h, i, j, k, l, m, n, o, p, q, r, s, š, z, ž, t, u, v, w, õ, ä, ö, ü, x, y

Hierbei kommen die Buchstaben c, f, š, z, ž, q, w, x und y nur selten, entweder in Fremdwörtern oder fremden Namensgebungen, vor. (Alle gängigen Zeichen fett) Die Vokale a, e, i, o, u, ü, ä, ö und õ können alle in der ersten Silbe eines Wortes vorkommen, in der letzten sind aber nur noch die Vokale a, e, i, u, und in einigen Fremdwörtern o (metroo), möglich. Wörter, die mit den Konsonanten g, b oder d beginnen, sind Fremdwörter.
Phonologie
Vokale

Das Estnische besitzt 9 Monophthonge, die in drei Quantitätsstufen (kurz vs. lang vs. überlang) auftreten können. Die Quantität gilt hierbei als distinktives, also bedeutungsunterscheidendes Merkmal. Weiterhin gelten Lippenrundung (gerundet vs. ungerundet) und Zungenstellung (vorne vs. hinten) als distinktive Merkmale estnischer Vokale. Es gilt hierbei zu beachten, dass der für das Deutsche typische Einfluss der Quantität auf die Qualität entfällt. Während im Deutschen ein langer E-Laut [eː] in seiner kurzen Artikulation zu einem [ɛ] würde, bleibt im Estnischen die Qualität, also die Gespanntheit, erhalten, sodass [e] zu artikulieren ist.
Monophthonge des Estnischen (in IPA-Lautschrift)[1]       vorne     hinten
ungerundet     gerundet     ungerundet     gerundet
überlang     lang     kurz     überlang     lang     kurz     überlang     lang     kurz     überlang     lang     kurz
geschlossen     iː     iˑ     ​i​     yː     yˑ     ​y​           uː     uˑ     ​u​
mittel     eː     eˑ     ​e​     øː     øˑ     ​ø​     ɤː     ɤˑ     ​ɤ​     oː     oˑ     ​o​
offen     æː     æˑ     ​æ​           ɑː     ɑˑ     ​ɑ​     

Der Laut [ɤ], graphematisch durch das Zeichen <õ> dargestellt, ist der gleiche Laut wie das bulgarische <ъ>[fn 1]; im Russischen existiert mit <ы> lediglich ein dazu ähnlicher Laut, der jedoch im Gegensatz zum Laut [ɤ] keinen Hinterzungenvokal, sondern einen Zentralvokal darstellt.

Je nach Zählweise umfasst das Estnische zwischen 19 und 36 Diphthonge. Die Differenzen ergeben sich aus der Frage, ob es sich bei den Lautverbindungen um verbundene oder verschmolzene Einzellaute handelt.

    /ae/; /ai/; /au/; /ea/; /ei/; /eu/; /iu/; /oe/; /oi/; /ou/; /ui/; /õe/; /õi/; /õu/; /äe/; /äi/; /äu/; /öi/; /üi/ (= graphematisch durch <üü> dargestellt)

Diese Diphthonge werden um folgende, als losere Lautverbindungen zu betrachtende, Diphthonge ergänzt:

    /ie/; /öe/; /ao/; /eo/; /io/; /õo/; /äo/; /oa/; /õa/; /öa/

Als schwierig erweist sich jedoch die Filterung standardsprachlicher Diphthonge von jenen, die lediglich in dialektalen Varianten des Estnischen auftreten. Eine konsequente Betrachtung der letzteren Gruppe würde dazu führen, die zweite Liste der Diphthonge erweitern zu müssen.

    Hierbei handelt es sich strenggenommen um nur eine von mehreren Aussprachevarianten; dieses Zeichen kann im Bulgarischen auch noch als [ə] oder [ɐ] ausgesprochen werden.

Konsonanten

Das Estnische hat 17 Konsonantenphoneme, die den Vokalen gleich in drei Quantitätsstufen (kurz vs. lang vs. überlang) auftreten können. Auch bei den Konsonanten gilt die Quantität als distinktiv und wird durch die Merkmale von artikulierendem Organ und Artikulationsstelle sowie der Artikulationsart ergänzt.
Konsonanten des Estnischen[2]       bilabial     labio-
dental     alveolar     alveolar
palatalisiert     post-
alveolar     palatal     velar     uvular
Plosive     ​p​           ​t​     tʲ                 ​k​     
Nasale     ​m​           ​n​     nʲ           (​ŋ​)           
Vibranten                 ​r​                             
Frikative           ​f​ ​v​     ​s​     sʲ     ​ʃ​                 ​h​
Approximanten                                   ​j​           
Laterale                 ​l​     lʲ                       

Die Laute ʒ und ​ʃ​ kommen jedoch lediglich in Fremdwörtern vor.

Auffälligkeiten ergeben sich auch im Hinblick auf die Plosive, die im Estnischen nicht aspiriert, also behaucht, werden. Diese gelten im Estnischen weiterhin als Varianten der Phoneme /p,t,k/.[3] Darüber hinaus wird das Graphem <s> grundsätzlich stimmlos artikuliert.
Akzentuierung

Im Estnischen liegt der Wortakzent grundsätzlich auf der ersten Silbe. Eine Ausnahme bildet hier jedoch aitäh! (deutsch: danke!). Des Weiteren ist für Lehn- und Fremdwörter charakteristisch, dass die Akzentuierung der Ausgangssprache zumeist beibehalten wurde. Bei estnischen Wörtern kann zudem ein Nebenakzent auf der dritten oder einer anderen ungeraden Silbe liegen, was vor allem im Falle der zahlreichen Komposita deutlich wird.
Grammatik

Das Estnische kennt keine grammatischen Geschlechter. In der dritten Person Singular wird für Personen beiderlei Geschlechts das Pronomen tema (Kurzform: ta) verwendet. Das heißt, dass zwischen Maskulinum und Femininum nicht unterschieden wird. Das gilt auch für Berufsbezeichnungen, so kann das estnische Wort õpetaja sowohl 'Lehrerin' als auch 'Lehrer' bedeuten.
Substantive

Bezüglich der grammatischen Kategorie des Kasus unterscheidet man im Estnischen 14 Fälle. Bei der estnischen Sprache handelt es sich um eine Akkusativsprache, doch ist der Akkusativ als solcher nicht mehr zu erkennen. Wie auch im Finnischen ist der historische Akkusativ im Laufe der Sprachentwicklung lautgesetzlich mit dem Genitiv zusammengefallen. In der Tat spielen die estnischen Fälle, so viele es auch sind, für die Auszeichnung von Agens und Patiens keinerlei Rolle, dieselbe wird nur durch die Wortstellung und die Verbform bewerkstelligt.

Transitiv gebrauchte transitive Verben bereiten naturgemäß die kleinsten Probleme, die Reihenfolge lautet hier: Agens Verb Patiens. Intransitiv gebrauchte transitive Verben werden in der Grundform elliptisch, also sich auf einen obliquen Patiens beziehend, verstanden. Um das involvierte Substantiv selbst zum Patiens zu machen, es sozusagen in den Absolutiv zu setzen, wird der Verbstamm um „-u“ erweitert. Dies wird am folgenden Beispiel deutlich: muutma (ändern): ta muudab (er/sie/es ändert (irgendetwas)), ta muutub (er/sie/es ändert (sich)).

Ursprünglich intransitive Verben werden „absolutiv“ verstanden, das dem Verb vorangehende Substantiv ist also der Patiens. Diese können indes „transitiviert“ werden, mit der Bedeutung, dass irgendetwas dazu veranlasst wird, eine bestimmte Handlung zu vollführen und anschließend wieder elliptisch gebraucht werden. Diese „Transitivierung“ geschieht durch eine Erweiterung des Verbstammes um „-ta“, wodurch im Estnischen der Kausativ gebildet wird: langema ((im Krieg) fallen): ta langeb (er/sie/es fällt (im Krieg)), ta langetab (er/sie/es fällt oder senkt (irgendetwas, aber vermutlich einen Baum oder den Kopf)).

Schließlich besitzt das Estnische auch die Möglichkeit, mit Hilfe von -ise (selbst) reflexive Konstruktionen zu bilden: Ma küsin endalt. (Ich frage mich.)

Bei dieser quasireflexiven Konstruktion liegt indes der Verdacht nahe, dass es sich dabei um einen Germanismus handelt, denn die zuvor beschriebene Sprachkonzeption zur Auszeichnung von Agens und Patiens kommt offensichtlich ohne reflexive Konstruktionen und Passivformen aus und ist in diesem Sinne als „ergativ gedacht“ zu bezeichnen.
Kasus     typische Endung (Sg./Pl.)     Beispiel (Sg./Pl.)     Übersetzung
Nominativ     -/-d     maja/majad; sõber/sõbrad     (das) Haus/ (die) Häuser; (der) Freund/ (die) Freunde
Genitiv     Stammvokal/-de; -te     maja/majade; sõbra/sõprade, rahva/rahvaste     des Hauses/der Häuser; des Freundes/der Freunde; des Volkes/der Völker
Partitiv     -d; -t; Stammvokal/-sid; -id; -eid; Pluralstammvokal     maja/majasid (auch maju); sõpra/sõpru (auch sõprasid)     kontextabhängig
Illativ     -sse; (Plural-)Stammvokal; bei bestimmten Worttypen kompensatorische Längung (Nom. maja – Ill. majja; Nom. jõgi – Ill. jõkke)     majja (auch majasse)/majadesse; sõbrasse (auch sõpra)/sõpradesse     ins Haus/in die Häuser; unüblich (übertr. an die Freunde (z. B. glauben))
Inessiv     -s     majas/majades; sõbras/sõprades     im Haus/in den Häusern; in dem Freund/in den Freunden
Elativ     -st     majast/majadest; sõbrast/sõpradest     aus dem Haus/aus den Häusern; unüblich
Allativ     -le     majale/majadele; sõbrale/sõpradele     auf das Haus/auf die Häuser; unüblich
Adessiv     -l     majal/majadel; sõbral/sõpradel     auf dem Haus/auf den Häusern; auf dem Freund/auf den Freunden
Ablativ     -lt     majalt/majadelt; sõbralt/sõpradelt     vom Haus/von den Häusern; vom Freund/von den Freunden
Translativ     -ks     majaks/majadeks; sõbraks/sõpradeks     zum Haus/zu den Häusern (werden); zum Freund/zu Freunden (werden)
Terminativ     -ni     majani/majadeni; sõbrani/sõpradeni     bis zum Haus/zu den Häusern; bis zum Freund/zu den Freunden
Essiv     -na     majana/majadena; sõbrana/sõpradena     als Haus/als Häuser; als Freund/als Freunde
Abessiv     -ta     majata/majadeta; sõbrata/sõpradeta     ohne Haus/ohne Häuser; ohne Freund/ohne Freunde
Komitativ     -ga     majaga/majadega; sõbraga/sõpradega     mit dem Haus/mit den Häusern; mit dem Freund/mit den Freunden

Anmerkungen: Die ersten drei Kasus (Nominativ, Genitiv, Partitiv) sind grammatische, alle weiteren jedoch semantische Kasus.

Ortsangaben

Gewöhnlich liest man davon, dass der Inessiv im Gegensatz zum Adessiv dann gebraucht werde, wenn etwas sich nicht an einer Seite von etwas, sondern in seinem Inneren befindet. Der Inessiv ähnelt jedoch sehr der Verwendung der Präposition „in“ im Deutschen, und von der gilt das vorige im Gegensatz zur Präposition „an“ auch keineswegs. Beispiel: „Ah, Günther ist wieder im Land.“ – was ja nicht heißt, dass Günther in der Erde steckte. Insbesondere fällt im Estnischen der Schnee ins und nicht aufs Land. Die Regel, soweit man davon sprechen kann, ist hier, dass Dinge, die nur in einem übertragenen Sinn ein Inneres haben, mit dem Adessiv gebraucht werden, z. B. an der Arbeit sein, und Dinge, die n-dimensional ausgedehnt gedacht werden, den Inessiv für ihr n-dimensional Inneres und den Adessiv für ihren (n-1)-dimensionalen Rand nach sich ziehen, wobei n aus {1,2,3}.

Allerdings befolgt das Estnische diese Regel flächiger als das Deutsche, wie z. B. den Handschuh in die Hand zu ziehen, das Hemd in den Rücken und die Mütze in den Kopf.
Verben

Verben unterliegen im Estnischen den grammatischen Kategorien Modus, Tempus, Genus verbi, Person und Numerus.
Konjugation

Die folgende Tabelle zeigt die Konjugation estnischer Verben am Beispiel von kirjutama (schreiben) im Präsens:
Person     Endung     Beispielwort     Übersetzung
1. Sg.     -n     (ma) kirjutan     ich schreibe
2. Sg.     -d     (sa) kirjutad     du schreibst
3. Sg.     -b     ta kirjutab     er/sie schreibt
1. Pl.     -me     (me) kirjutame     wir schreiben
2. Pl.     -te     (te) kirjutate     ihr schreibt
3. Pl.     -vad     nad kirjutavad     sie schreiben
Verneinung

Die Verneinung ist im Estnischen der des Finnischen ähnlich. Beide Sprachen haben sich jedoch aus gemeinsamen Wurzeln unterschiedlich entwickelt. Während die Verneinung im Finnischen mithilfe eines Verneinungsverbs gebildet wird, ist dieses zwar im Estnischen auch vorhanden, jedoch nicht konjugierbar, sodass in der einschlägigen Literatur häufig auch von einer Verneinungspartikel, die man als ein Äquivalent zum deutschen „nicht“ betrachten kann, gesprochen wird. Mit deren Hilfe erfolgt die Verneinung wie am Verb mängima (deutsch: „spielen“) dargestellt:

Präsens: ei + Präsensstamm

    mina ei mängi
    sina ei mängi
    tema ei mängi

    

    meie ei mängi
    teie ei mängi
    nemad ei mängi

Präteritum: ei + nud-Partizip

    mina ei mänginud
    sina ei mänginud
    tema ei mänginud

    

    meie ei mänginud
    teie ei mänginud
    nemad ei mänginud

Perfekt: ei + Präsensstamm von olla + nud-Partizip

    mina ei ole mänginud
    sina ei ole mänginud
    tema ei ole mänginud

    

    meie ei ole mänginud
    teie ei ole mänginud
    nemad ei ole mänginud

Die Struktur ei ole wird im Präsens auch dazu genutzt, Aussagen bzw. deren Teile zu verneinen:

    Must ei ole valge. (deutsch: „Schwarz ist nicht weiß.“, wörtlich: „Schwarz nicht sein weiß.“)
    Allan ei ole kodus. (deutsch: „Allan ist nicht zu Hause.“, wörtlich: „Allan nicht sein zu Hause.“)

Ei ole wird im Estnischen auch oft in seiner Kurzform pole gebraucht:

    Allan pole kodus.

Ein zweites Äquivalent zum deutschen „nicht“ ist das estnische Wort mitte. Während es einerseits, wie im ersten der folgenden Beispielsätze, den Charakter einer Konjunktion annehmen kann, um eine Gegenüberstellung auszudrücken, liegt eine häufige Gebrauchsform auch in Imperativsätzen ohne Prädikat:

    Allan on tööl, mitte kodus (deutsch: „Allan ist an der Arbeit, nicht zu Hause.“)
    Mitte nii kõvasti! (deutsch: „Nicht so hart!“)

Wortschatz

Deutlich mehr als andere finno-ugrische Sprachen hat das Estnische durch den Einfluss des Deutschen Ordens im Baltikum Lehnworte aus dem Hochdeutschen und der Niederdeutschen Sprache übernommen, beispielsweise riik – Staat (vgl. finnisch valtakunta), müts – Mütze (vgl. finnisch lakki; aber myssy < schwed. mössa ~ dt. Mütze), käärid – Schere (vgl. finnisch sakset), vürts – Gewürz (vgl. finnisch mauste). Andere Entlehnungen aus dem Deutschen sind reisibüroo und reklaamibüroo. Die Zahl der Lehnwörter aus dem Deutschen wird auf 2000 geschätzt. Neben direkten Entlehnungen gibt es eine Reihe an deutschen Lehnübersetzungen, insbesondere bei Partikelverben. Auch gibt es etwa 350 aus dem Russischen entlehnte Wörter wie pirukad (vgl. russisch пирожки).

Ähnlich wie in einigen romanischen Sprachen (Spanisch, Französisch) ist für das Estnische ein „st“ am Wortanfang untypisch, bei Entlehnungen werden (bzw. wurden) die betroffenen Wörter der estnischen Phonotaktik angepasst (z.  B. tool (ndd. Stohl), tikk (eng. stick), tudeng (Student), torm (ndd. Storm)). Diese Erscheinung nimmt jedoch im Zulauf eines neueren fremdsprachlichen Wortschatzes ab: (z.  B. staadion, staap usw).

Bei Fremd- und Lehnwörtern wurden die Laute „b“, „d“ und „g“ der Ausgangssprache am Wortanfang zu „p“, „t“ und „k“: pruukima (ndd. bruken), püksid (ndd. Büx), piljard (Billard), kips (Gips).

Außer diesen Veränderungen am Wortanfang wurde früher das „f“ in ein „hv“ (gesprochen: chw) umgewandelt, z.  B. „krahv“ (Graf) und „kohv“ (eng. coffee). Die hv-Kombination wird aber gegenwärtig oft [f] ausgesprochen.
Dialekte

Trotz der geringen Fläche Estlands von 45.227 km² weist die estnische Sprache acht Dialekte (est. murded) auf, die insgesamt etwa 117 Mundarten vereinen. Durch Leibeigenschaft und Fronsystem waren die estnischen Bauern in ihren Kirchspielen isoliert. Ihnen war es unmöglich, sich frei im Land zu bewegen. Die Sprache entwickelte sich folglich regional isoliert und mit unterschiedlichsten Tendenzen. Die größte Konkurrenz bestand jedoch stets zwischen der nordestnischen Dialektgruppe, die sich bei der Entwicklung der heutigen Standardsprache durchsetzte, und der Gruppe der südestnischen Dialekte. Während erstere durch Tallinn als politisches Zentrum von Bedeutung war, erlangte letztere durch Tartu als erste Universitätsstadt des Landes ebenfalls schriftsprachliche Bedeutung. Die starke Ausprägung dieser Dialektgruppen lässt sich durch die einstige Teilung des heutigen Estlands in Nordestland und Südestland erklären, wobei letzteres territorial dem früheren Livland angehörte.

Die acht Hauptdialekte werden in zwei Dialektgruppen eingeteilt (Nord- und Süd-Estnisch), wobei der Dialekt der Nordostküste sowie auch der Dialekt der Inseln im Westen des Landes diesen Gruppen nicht zugeordnet werden können:

Nordestnisch

    West-Dialekt (est. läänemurre)
    Zentral-Dialekt (est. keskmurre)
    Ost-Dialekt (est. idamurre)

Südestnisch (südlich von Tartu und Põltsamaa)

    Mulk-Dialekt (est. Mulgi murre)
    Tartu-Dialekt (est. Tartu murre)
    Võru-Dialekt (est. Võru murre)
    Seto-Dialekt (est. Setu murre)

Küstenestnisch (östlich von Tallinn entlang der Küste bis zur Grenzstadt Narva)

    Nordostküsten-Dialekt (est. rannikumurre)

Inselestnisch

    Insel-Dialekt (est. saarte murre)

Sprachpolitik im 20. und 21. Jahrhundert

Geprägt wurde die Sprachpolitik Estlands im 20. und 21. Jahrhundert durch die Geschichte, in der das Land von Dänen, Schweden, Deutschen und Russen besetzt war. Vor allem die von 1721 bis 1918 währende Zeit Estlands als Teil der Ostseeprovinz des Russischen Reiches hinterließ ihre Spuren. So kam es während dieser Zeit zu einer ausgeprägten Russifizierung, die Nationalbewusstsein und Bestrebungen nach kultureller Autonomie unterbinden sollte.

Als das Land 1918 seine Unabhängigkeit erlangt hatte, folgte in sprachpolitischer Hinsicht ein bedeutender Wandel. Nachdem der bis 1920 andauernde Unabhängigkeitskrieg durch den Frieden von Tartu beendet worden war, erlangte zunächst jeder Einwohner die Staatsbürgerschaft der Republik Estland.[4] Während dieser Zeit erlaubten es neu verabschiedete Gesetze ethnischen Minderheiten, ihre Kultur zu bewahren und auszuleben.

Ein erneuter Wandel der Situation ging mit dem Zweiten Weltkrieg einher. Nachdem dieser beendet und Estland in die Sowjetunion eingegliedert war, sollte die Sprachpolitik erneut durch die sowjetische Besatzung bestimmt werden. So folgte eine Einführung eines nahezu selbstständigen und vom estnischen unabhängigen russischen Schulsystems und eine erneute Politik der Russifizierung. Letztere beinhaltete die Deportation mehrerer Zehntausend Esten und die Ansiedlung ethnischer Russen. So sank der Anteil der Esten an der Gesamtbevölkerung von 88 % vor Kriegsbeginn auf 61,5 % im Jahre 1989, während der Anteil der Bürger mit ostslawischen Muttersprachen im gleichen Zeitraum von 8,2 % auf 35,2 % stieg.[5]

Nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit folgte 1991 eine neue Gesetzgebung, die – auch vor dem Hintergrund des Beitritts zur Europäischen Union und als Reaktion auf die Russifizierung der vergangenen Jahrzehnte – mehrfach überarbeitet wurde. Die Staatsbürgerschaft konnte nun nicht automatisch erlangt werden. Vielmehr bestand für die Angehörigen vor allem der russischsprachigen Minderheit die Möglichkeit, entweder nach Russland zurückzukehren, die estnische Staatsbürgerschaft zu beantragen oder mit einer derzeit grundsätzlich ausgestellten unbeschränkten Aufenthaltsgenehmigung als Staatenlose im Land zu verweilen. Der Erwerb der Staatsbürgerschaft setzt Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen voraus sowie das erfolgreiche Bestehen eines Tests zum Grundgesetz des Landes. Vor allem die Bedingung der Sprachbeherrschung wird sowohl von Angehörigen der Minderheit, die um das Russische als zweite Amtssprache bemüht sind, als auch von Amnesty International[6] als diskriminierend beschrieben – die Rolle der Sprache vor dem Hintergrund drohenden Kulturverlustes in der Geschichte vermutlich außer Acht lassend. Die Bestimmungen Estlands entsprechen jedoch denen der anderen EU-Staaten, denen bei der Anwendung ähnlicher Gesetze keine Diskriminierung vorgeworfen wird. Mit dem Programm „Integration in der estnischen Gesellschaft 2000 – 2007“ (estnisch: Riiklik programm. Integratsioon Eesti ühiskonnas 2000 – 2007.) waren Ziele wie „sprachlich-kommunikative“, „rechtlich-politische“ und „sozialwirtschaftliche Integration“ angestrebt und verfolgt worden. Das Integrationshindernis Sprache sollte beseitigt werden. Mittlerweile muss an allen Schulen des Landes Estnisch unterrichtet werden, sodass bei Beendigung der Mittelstufe das Niveau B2 erreicht ist.[7] Ferner gibt es für Erwachsene die Möglichkeit, kostenlose Sprachkurse zu belegen und ebenfalls kostenlos ihre Sprachkenntnisse zertifizieren zu lassen.

Ethnische Minderheiten genießen weiterhin weitreichende Rechte und russischsprachige Schulen, an denen Estnisch als erste Fremdsprache gelehrt wird, werden vom Staat gefördert.

Die Bestrebungen der Regierung, möglichst viele der 2007 noch 130.000 Staatenlosen[8] einzubürgern und die Kenntnis der estnischen Sprache zu verbreiten, führen nur langsam zu Ergebnissen. Jedoch ist festzustellen, dass 1989 etwa 67 % der Bevölkerung Estnisch beherrschten, 2008 aber bereits 82 %.[4][9]0:03 2015/7/19

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